Montag, 6. Februar 2012

Brief aus Belgien

Auf dem Schreibtisch vom Alten habe ich den Brief gefunden -
ich setzte ein paar Zitate hier rein, weil er sich mit Sebald als Fälscher beschäftigt, ein Thema, das den Alten sehr bewegt, (Namen streiche ich).



Sehr geehrter Herr Kollege Prof.---
In Ihrem "MUSE-BALDÆUM clausum", das mir übrigens teilweise bizarr, exzentrisch und verschroben erscheint (dennoch schaue ich hin und wieder rein)- finden sich Hinweise auf Fälschungsvorwürfe an den großen W.G.Sebald.
Ich darf Ihnen hierzu kurz meine Meinung darlegen, ohne belehrend wirken zu wollen.
Was offensichtlich vielen Lesern und Literaturwissenschaftlern entgeht:
Sebald selbst thematisiert den Betrug. Sie kennen sicher die Stelle in den 'Ausgewanderten',wo Max Aurach (oder Ferber)berichtet, wie sein von den Nazis aus dem Schuldienst entlassener Onkel Leo eine Fotografie der Bücherverbrennung auf dem Würzburger Residenzplatz als Fälschung entlarvt:

Der Onkel bezeichnete diese Fotografie als eine Fälschung. Die Bücherverbrennung, so sagte er, habe in den Abendstunden des 10. Mai – das wiederholte er mehrmals –, in den Abendstunden des 10. Mai habe die Bücherverbrennung stattgefunden, und weil man aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits herrschenden Dunkelheit keine brauchbaren Fotografien habe machen können, sei man, so behauptete der Onkel, kurzerhand hergegangen und habe in das Bild irgendeiner anderen Ansammlung vor der Residenz eine mächtige Rauchfahne und einen tiefschwarzen Nachthimmel hineinkopiert. Das in der Zeitung veröffentlichte fotografische Dokument sei somit eine Fälschung.
Sebald schreibt, er habe das betreffende Foto auftreiben können und es sei zweifelsohne eine Fälschung – das soll der Leser am abgedruckten Bild nachvollziehen.
Damit legt Sebald doch seine eigene Technik bloß. Er verfälscht Geschichte, indem er Fotos oder Fragmente aus authentischen Biographien anderer Leute in die seiner Protagonisten einmontiert. Bei allgemein fiktiver Literatur ist das selbstredend zulässig, Sebald will uns veranlassen, seine Texte genau zu lesen: Wir sollen neben den historisch-biographischen Fakten auch die Wahrhaftigkeit seiner Texte prüfen. 
An anderer Stelle schildert der die mühevolle Arbeit (von der er erst glaubt, das Ziel sei Staubproduktion) des Porträtisten  Aurauch: Im Ergebnis verfehlt auch er immer wieder das Darzustellende, aber die Gesichter geistern im zerschundenen Papier dann doch irgendwie herum.


Das aber ist meine Quintessenz, die uns Leser davor bewahrt, das Andere ein für allemal fixiert zu wähnen.


Erwähnenswert ist vielleicht noch der "Fall Wilkomirski". Ein Bruno Dösseker hat 1993 unter seinem angeblich wahren Namen Binjamin Wilkomirski seine angeblich gerade erst zurückgewonnenen Kindheitserinnerungen an Auschwitz veröffentlicht(und war dafür als genuine neue Stimme in der Holocaust-Literatur gefeiert worden).Ein Journalist wies nach, dass es sich um fingiertes Machwerk handelt.
Man könnte vermuten, dass Sebald sich von diesem Fall zu "Austerlitz" hat inspirieren lassen.
Mein Kollege, der Antwerpener Literaturwissenschaftler Geert Lernout, hält Sebald für einen gefährlichen Schriftsteller. 
Schon 1995 meldet er zu den "Ringen des Saturn" in bestimmten 'belgischen' Passagen Bedenken an (In einem ausführlichen 
Exkurs zu den belgischen Greueltaten im Kongo unter Leopold II. erinnert sich Sebald daran, wie ihm bei seinem ersten Besuch 
in Brüssel mehr Bucklige und Irre über den Weg gelaufen sind als sonst in einem ganzen Jahr – für Lernout haarsträubender Unsinn).
Und vor "Austerlitz" warnt er. Es handle sich zwar um ein außerordentlich gut geschriebenes,aber zutiefst verfehltes Buch. Die Verwischung der Grenzen zwischen Fiktivem und Fakten in der Darstellung der Shoah – bei Willkomirski böswillig oder pathologisch - als künststlerisches Prinzip sei betrügerisch und arbeite den Negationisten zu. 


Mir erscheint die Feststellung wichtig, dass es Sebald um die Zuverlässigkeit und die Bedeutung von Erinnerung geht und dass er die Möglichkeit des 'Betrugs', wie oben dargelegt, bei der Vermischung von Fiktion und Fakt nicht zu verschleiern sucht.Im übrigen hat er nirgends die Shoah dargestellt. 
Dabei soll es vorerst sein Bewenden haben, wenn ich auch noch eine Vielzahl anderer Belege, besonders in den "Ausgewanderten" - aber auch aus jedem anderen sebaldschem Werk beibringen könnnte.


Ich verbleibe in der Hoffnung, zur Klarstellung des Themenkomplexes 'Erinnern' in W. G. Sebalds Werk
einen kleinen Anteil beigesteuert zu haben.


Mit kollegialen Grüßen


Ihr ----.----

--------------------------------------------------

Bei der Gelegenheit fällt mir ein: Von Guttenberg habe ich heute gelesen, er will nicht in die Politik zurück.
Der Alte sagt immer: Wenn Sebald mit seinen Büchern hätte den Doktor machen wollen, da hätten die ihm aber Zitate ohne Ende - auf jeder Seite 10 mindestens - um die Ohren gehauen, und wo Jaffi, wo bitte schön, hat er ein einziges Mal referenziert? 
[Das Wort gibts nicht, er meint sicher: hat Sebald jemals seine Fundstelle angegeben? Habs doch gefunden, aber nicht verstanden: Wenn ich sage "Schaf", dann ist das ein Wort, das irgendein Schaf referenziert, aber das Wort ist nicht das Schaf selbst.]



.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen