Sonntag, 22. Januar 2012

Romana und der Jäger Schlag



Im Gracchus-Zimmer sieht man ganz rechts, wie der Jäger Schlag im Holzschopf die Romana bespringt (die Stadtverwaltung hat uns mit 10.000 € bedroht, wenn wir die Szene  so ausstellen, seitdem haben wir ein halb durchsichtiges goldenes Band um ihre Hüften geschlungen), im Mittelbereich stößt der Engelwirt Sallaba den Jäger von hinten vom Fels herab, der stürzt auf der Tiroler Seite in einen Tobel. Und linkerhand wird die Leiche auf dem Holzschlitten des Pfeiffermühlenbesitzers gebracht, Doktor Piazolo untersucht den entsetzlich blassen Toten, dem Haupt- und Barthaar steif- und festgefroren ist.
Im Hintergrund fährt weit draußen auf dem Gardasee ein Segelschiff mit finsteren Segeln.


(Auf seiner Wallfahrt durch Suffolk beobachtet  Max nochmals heimlich Sex, von einer Klippe herunter, wie sie's am Strand treiben.) 






Die Romana kam jeden Nachmittag um fünf aus dem Bärenwinkel herüber, und ich bin ihr oft bis zur Brücke entgegengegangen. Sie war damals höchstens fünfundzwanzig, und alles an ihr dünkte mich von ausnehmender Schönheit. Sie war groß gewachsen, hatte ein weites, offenes Gesicht mit wassergrauen Augen und eine Menge flachsfarbenes Haar wie ein Haflingerpferdchen. In jeder Hinsicht unterschied sie sich von der Weiberschaft von W., die ausnahmslos fast aus kleinen, dunklen, dünnzopfigen und bösen Bäuerinnen und Mägden bestand. So aus der Art geschlagen schien sie, daß ihr niemand, trotz ihrer auffälligen Schönheit, je einen Heiratsantrag gemacht hat. Wenn ich später am Abend noch einmal in die Wirtschaft hinunter durfte, um für den Vater ein Päckchen Zuban zu holen, schwebte die Romana durch die bereits um neun Uhr regelmäßig angetrunkene Bauern- und Holzknechtsgesellschaft mit einer Leichtigkeit, als wäre sie von einem anderen Stern.

Im Verlauf der nachfolgenden Jahre legten sich lange Schatten über die, wie Dr. K. sich gelegentlich sagte, ebenso schönen wie entsetzlichen Herbsttage in Riva, und aus den Schat­ten tauchten allmählich die Umrisse einer Barke auf mit unverständlich hohen Masten und finsteren faltigen Segeln.
Drei ganze Jahre dauert es, bis die Barke, als werde sie über das Wasser getragen, leise in den kleinen Hafen von Riva schwebt. In den frühen Morgenstunden legt sie an. Ein Mann mit blauem Kittel steigt ans Land und zieht die Taue durch die Ringe. Zwei andere Männer in dunklen Röcken mit Silberknöpfen tragen hinter dem Bootsmann eine Bahre, auf der unter einem großen, blumengemusterten Tuch offenbar ein Mensch liegt. Es ist der Jäger Schlag. Seine Ankunft ist Salvatore, dem Podestà von Riva, schon um Mitternacht ange­sagt worden von einer Taube von der Größe eines Hahns, die an das Fenster seines Schlaf­gemachs und dann an sein Ohr geflogen war. Morgen, hatte sie gesagt, kommt der tote Jäger Schlag, empfange ihn im Namen der Stadt. Nach kurzem Bedenken war Salvatore aufge­stiegen und hatte alles Nötige in die Wege geleitet. Als er jetzt in der Morgendämmerung, den Stock und den Zylinderhut mit dem Trauerband in der schwarzbehandschuhten Rechten, das Bürgermeisteramt betritt, stellt er zu seiner Genugtuung fest, daß seine Anweisun­gen richtig befolgt worden sind. Die fünfzig Knaben stehen, ein Spalier bildend, in dem langen Flur, und in einem der hinteren Räume im oberen Stock liegt, wie ihm der Bootsführer, der ihn im Vorhaus empfängt, bedeutet, aufgebahrt bereits der Jäger Schlag, ein Mann, so zeigt es sich nun, mit wild durcheinander­gewachsenem Haar und Bart und mit gebräun­ter, um nicht zu sagen gegerbter Haut.


Demungeachtet legte ich, wie wir es einst auf dem flachen Blechdach des doppelstöckigen Bienenhauses zur Mutprobe getan hatten, so weit es ging den Kopf in den Nacken, richtete den Blick an den Zenit hinauf, ließ ihn herabgleiten an der Himmelskugel und zog ihn dann vom Horizont her über das Wasser herein bis an den zirka zwanzig Meter unter mir sich befindenden schmalen Strand. Indem ich, langsam ausatmend, das in mir aufsteigende Schwindelgefühl überwand und einen Schritt zurück tat, war es mir, als hätte ich auf dem Uferstreifen etwas seltsam Fehlfarbenes sich bewegen sehen. Ich kauerte mich nieder und blickte, erfüllt von plötzlicher Panik, hinab über den Rand. Es war ein Menschenpaar, das dort drunten lag, auf dem Grund der Grube, dachte ich mir, ein Mann, ausgestreckt über dem Körper eines anderen Wesens, von dem nichts sichtbar war als die angewinkelten, nach außen gekehrten Beine. Und in der eine Ewigkeit währenden Schrecksekunde, in der dieses Bild mich durchfuhr, kam es mir vor, als sei ein Zucken durch die Füße des Mannes gefahren wie bei einem gerade Gehenkten. Jetzt jedenfalls war er still, und still und reglos war auch die Frau. Ungestalt gleich einer großen, ans Land geworfenen Molluske lagen sie da, scheinbar ein Leib, ein von weit draußen hereingetriebenes, vielgliedriges, doppelköpfiges Seeungeheuer, letztes Exemplar einer monströsen Art, das mit flach den Nüstern entströmendem Atem seinem  Ende  entgegendämmert. Voller  Bestürzung richtete ich mich wieder auf, so unsicher, als erhöbe ich mich zum erstenmal in meinem Leben von der Erde, und ging fort von der mir unheimlich gewordenen Stelle, von der Klippe hinab über den leicht sich absenkenden Weg auf den Strand, der sich hier ausweitet nach Süden.  




























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